BGH zur Auslegung von Vertretungsbeschränkungen in der Teilungserklärung: Juristische Personen und natürliche Personen dürfen nicht gleich behandelt werden

Grundsätzlich darf sich jeder Wohnungseigentümer in der Versammlung durch eine beliebige andere Person vertreten lassen. Etwas anderes gilt, wenn – wie in der Praxis häufig – in der Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung (TE/GO) Einschränkungen vereinbart sind.

Dass Vertretungsbeschränkungen erlaubt sind, ist längst geklärt. Noch ungeklärt war, wie eine auf natürliche Personen zugeschnittene Vertretungsklausel (z. B. Ehegatten, Familienangehörige, Verwandte in gerader Linie) auszulegen und anzuwenden sind, wenn sich eine juristische Person nicht durch ihren organschaftlichen Vertreter (z. B. Vorstand, Geschäftsführer, geschäftsführender Gesellschafter) vertreten lassen will, sondern einen Angestellten oder sonstigen Mitarbeiter. Hierzu bezog der Bundesgerichtshof (BGH) nunmehr Stellung.

Mit Urteil vom 28. Juni 2019 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 250/18 hat der BGH entschieden, dass sich eine juristische Person in der Eigentümerversammlung jedenfalls dann auch von einem Mitarbeiter einer zum selben Konzern gehörenden weiteren Tochtergesellschaft vertreten lassen darf, wenn diese für die Verwaltung der Sondereigentumseinheiten in der betreffenden WEG zuständig ist.

 

Der Fall:
In einer Wohnungseigentümergemeinschaft in Thüringen, die aus 43 Wohnungen besteht, gehören 22 Wohnungen der T. GmbH und die restlichen 21 Wohnungen den übrigen Wohnungseigentümern. In § 9 Ziff. 6 TE/GO ist vereinbart:„Ein Wohnungseigentümer kann sich nur durch seinen Ehegatten, einen anderen Wohnungseigentümer aus der Gemeinschaft oder den Verwalter in der Versammlung vertreten lassen. Der Vertreter bedarf einer schriftlichen Vollmacht, die dem Verwalter spätestens vor Beginn der Versammlung auszuhändigen ist.”

Die T. GmbH ist eine nahezu 100prozentige Tochtergesellschaft einer Management-Holding. Zum T.-Konzern gehört neben der T. GmbH auch das weitere Tochterunternehmen TA. GmbH. Diese übt die Funktion der konzernweiten einheitlichen Verwaltungsgesellschaft aus.

Alle konzernangehörigen Gesellschaften einschließlich der T. GmbH (Anfechtungsklägerin) haben der TA. GmbH eine Vollmacht für die Verwaltung ihrer Sondereigentumseinheiten erteilt. Dementsprechend wurde der gesamte Schriftverkehr mit dem WEG-Verwalter nicht von der Klägerin persönlich geführt, sondern über die TA. GmbH abgewickelt.

In der Eigentümerversammlung vom 12.12.2016 stand die Wiederbestellung des WEG-Verwalters auf der Tagesordnung. Die Klägerin erteilte einer Mitarbeiterin der TA. GmbH eine schriftliche Stimmrechtsvollmacht mit der Berechtigung, Untervollmacht zu erteilen. Der Versammlungsleiter (WEG-Verwalter) wies die ihm vor Beginn der Versammlung von der Mitarbeiterin vorgelegte Original-Vollmacht zurück. Er war unter Hinweis auf einen Interessenkonflikt auch nicht bereit, sich von der Mitarbeiterin eine Untervollmacht erteilen zu lassen.

Der Vorsitzende des Verwaltungsbeirats lehnte es ebenfalls ab, die ihm angetragene Untervollmacht für die Klägerin auszuüben. Die Mitarbeiterin musste den Versammlungsraum verlassen. Ohne Berücksichtigung der Stimmen der Klägerin beschlossen die Wohnungseigentümer mit 14 Ja-Stimmen die Wiederbestellung des WEG-Verwalters. Da laut TE/GO nach dem Objektprinzip abgestimmt wird, hätte die Klägerin – wären ihre Stimmen mitgezählt worden – mit 22:14 gegen die Wiederbestellung gestimmt. Der Beschlussantrag über die Wiederbestellung wäre mithin abgelehnt worden.

Die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage wies das Amtsgericht ab. Das für Thüringen zuständige zentrale WEG-Berufungsgericht in Gera änderte das amtsgerichtliche Urteil ab und erklärte den Beschluss über die Wiederbestellung für ungültig. Die Revision wurde zugelassen und von den beklagten Wohnungseigentümern eingelegt. Der BGH bestätigt die Vorinstanz.

Die Entscheidung:
Das Verhalten des Versammlungsleiters war rechtswidrig. Daher war der Beschluss für ungültig zu erklären. Die Klausel in der TE/GO sei sprachlich („Ehegatten”) auf natürliche Personen zugeschnitten und daher erkennbar lückenhaft. Diese Regelungslücke müsse im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (der Teilungserklärung) geschlossen werden.

Hierbei sei erkennbar, dass im Ausgangspunkt nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen dem Grundsatz der Vertretungsbeschränkung unterliegen müssten. Denn die Privilegierung einer juristischen Person, der Wohnungen gehören, gegenüber anderen Wohnungseigentümern sei nicht gerechtfertigt. Andererseits dürfe eine juristische Person im Vergleich mit anderen Wohnungseigentümern nicht benachteiligt werden, indem eine Stimmrechtsvertretung in der Versammlung nur durch organschaftlichen Vertreter erlaubt sei.

Das hinter der Vertretungsbeschränkung stehende Interesse, gemeinschaftsfremde Einwirkungen von der Willensbildung in der Versammlung fernzuhalten, auf der einen Seite und die Bedeutung des Stimmrechts, das auch bei juristischen Personen zum Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte gehöre, auf der anderen Seite seien dahin miteinander in Einklang zu bringen, dass auch rechtsgeschäftliche Vertreter der juristischen Person in die Versammlung entsandt werden dürften.

In diesem Zusammenhang merkt der BGH an, dass – je nach den Umständen des Einzelfalles und so auch hier – nicht zwingend gefordert werden dürfe, dass der Stimmrechtsvertreter ein unternehmenseigener Mitarbeiter ist. Habe ein Konzern die Liegenschaftsverwaltung auf eine rechtlich eigenständige Tochtergesellschaft ausgegliedert, sei es nicht zu beanstanden, wenn diese Tochter einen Mitarbeiter entsende, sofern dieser als Sachbearbeiter mit den Vorgängen um die betreffenden Sondereigentumseinheiten vertraut sei.

Unter dieser Voraussetzung dürfe der Mitarbeiter einer anderen Konzerntochter angehören. Im vorliegenden Fall lagen diese Voraussetzungen nach dem unstreitigen Sachverhalt vor. Daher war die Mitarbeiterin der TA. GmbH berechtigt, die Klägerin in der Versammlung zu vertreten.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.6.2019, Az. V ZR 250/18