Zweiten Rettungsweg zahlt die Gemeinschaft
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft in Berlin stritt sich darüber, ob der brandschutzrechtlich erforderliche zweite Rettungsweg für Souterraineinheiten (Gewerbe) von allen Eigentümern gemeinschaftlich geschaffen werden musste oder die drei Teileigentümer selber zuständig waren. Der Bundesgerichtshof (BGH) schaffte Klarheit.
Mit Urteil vom 23.06.2017 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 102/16 setzte der Bundesgerichtshof (BGH) seine neuere Rechtsprechung zur erstmaligen plangerechten Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums und zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Anforderungen fort. Zudem bestätigte er, dass die Bezeichnung „Teileigentum“ jede gewerbliche Nutzung zulässt, es sei denn, in der Gemeinschaftsordnung (GO) sind abweichende Nutzungsbeschränkungen vereinbart.
Der Fall
Im Souterrain des nach dem WEG aufgeteilten Wohn- und Geschäftshauses befinden sich die Einheiten K 1, K 2 und K 3. Es handelt sich um Teileigentumseinheiten. Die übrigen Sondereigentumseinheiten im Gebäude sind Wohnungen. In der Teilungserklärung sind die Einheiten K 1, K 2 und K 3 als „Sondereigentum an sämtlichen Räumen der im Aufteilungsplan mit den Nummern K 1, K 2 und K 3 bezeichneten, nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen im Souterrain” beschrieben. Im Aufteilungsplan werden die Souterraineinheiten als „Kellerraum” bezeichnet. In § 4 Abs. 2 GO ist vereinbart:
„Die Gewerbeflächen dürfen zu baurechtlich zulässigen gewerblichen Zwecken genutzt werden – die im Aufteilungsplan angegebene Nutzung ist nicht die allein maßgebliche (…) Der Wohnungs- bzw. Teileigentümer ist verpflichtet, auf seine Kosten alle erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen einzuholen und hat alle mit der Nutzungsänderung im Zusammenhang stehenden Kosten und Lasten zu tragen.”
Bauordnungsrechtlich ist die Nutzung der Souterraineinheiten zu Aufenthaltszwecken nicht genehmigt, weil die Räume in den der Baugenehmigung zugrunde liegenden Plänen als „Kellerraum” bezeichnet werden. Der Kläger zu 1 beantragte bei der zuständigen Behörde eine bauordnungsrechtliche Nutzungsänderung, um seine Einheit (K 2) als Aufenthaltsraum nutzen zu dürfen. Nach dem hierzu gemäß Bauordnung Berlin eingereichten Brandschutznachweis muss ein zweiter Rettungsweg geschaffen werden. Die Kläger wollen erreichen, dass der zweite Rettungsweg durch eine Fluchttreppe im Freien hergestellt wird, und zwar auf Kosten aller. Dies beantragten sie daher in der Eigentümerversammlung. Die Versammlung lehnte den Beschlussantrag ab, da den Klägern nach Auffassung der Mehrheit der Eigentümer der geltend gemachte Anspruch nicht zustehe. Die Kläger erhoben gegen den Negativbeschluss Anfechtungsklage und kombinierten diese mit der Beschlussersetzungsklage, die darauf gerichtet ist, dass das Gericht dem Beschlussantrag (Fluchttreppe im Freien, beauftragt durch die WEG und finanziert durch eine Sonderumlage) anstelle der Versammlung stattgibt, hilfsweise darauf gerichtet, dass das Gericht einen Beschluss des Inhalts ersetzen soll, dass alle Maßnahmen vorgenommen werden, die zur Errichtung eines zweiten Rettungsweges für die Souterraineinheiten erforderlich sind. Das AG Charlottenburg und das LG Berlin wiesen die Klage als unbegründet ab. Über eine Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger landete der Fall in Karlsruhe.
Die Entscheidung
Der BGH hob das Urteil des Berufungsgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung an das LG Berlin zurück. Im Gegensatz zur Ansicht des LG Berlin handele es sich bei der begehrten Maßnahme nicht um eine bauliche Veränderung gemäß § 22 Abs. 1 WEG, sondern um die erstmalige plangerechte Herstellung der drei Teileigentumseinheiten, zu der auch die erstmalige Erfüllung der öffentlich-rechtlichen (brandschutzrechtlichen) Anforderungen an einen Aufenthaltsraum zu zählen seien. Es sei zu beachten – so der BGH – dass grundsätzlich auch Teileigentumseinheiten dazu geeignet sein müssten, als Aufenthaltsraum zu dienen. Da die Bezeichnung „Teileigentum” jede gewerbliche Nutzung zulasse, seien auch Nutzungen erlaubt, die – wie etwa eine Büronutzung – bauordnungsrechtlich nur in Aufenthaltsräumen vorgenommen werden dürften, also in Räumen, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind (vgl. § 2 Abs. 2 BauO Berlin). Demzufolge gehöre es (vorbehaltlich weiterer in der Gemeinschaftsordnung vereinbarter Nutzungsbeschränkungen bzw. Zweckbestimmungen) zu dem plangerechten Zustand einer Teileigentumseinheit, dass die öffentlich-rechtlichen Anforderungen an einen Aufenthaltsraum erfüllt würden. Die dafür erforderlichen Maßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum – wie etwa die bauordnungsrechtlich vorgeschriebene Herstellung eines zweiten Rettungsweges (vgl. § 2 Abs. 5, § 33 BauO Berlin) entsprächen regelmäßig ordnungsmäßiger Verwaltung und könnten daher von einzelnen Wohnungs- und Teileigentümern gemäß § 21 Abs. 4 WEG beansprucht werden.
Die Auslegung der Teilungserklärung im vorliegenden Fall ergebe, dass die Einheiten K 1 bis K 3 als Aufenthaltsraum geeignet sein müssen. Nutzungsbeschränkungen oder abweichende Vereinbarungen hinsichtlich der Zuständigkeit und Kostentragungspflicht enthalte die GO nicht, insbesondere auch nicht in § 4 Abs. 2 GO. Nach Wortlaut und Sinn regele die Klausel Nutzungsänderungen bei vorheriger Nutzung der Einheiten K 1 bis K 3 als Gewerbeflächen. Darum gehe es vorliegend nicht, sondern um die erstmalige Schaffung eines plangerechten und brandschutzrechtlich (bauordnungsrechtlich) legalen Zustandes. Hätte auch diese Maßnahme dem jeweiligen Teileigentümer auferlegt werden sollen, hätte es einer klaren und eindeutigen Vereinbarung in der GO bedurft. Da dies hier nicht erfolgt sei, bliebe es bei der Geltung der gesetzlichen Ausgangslage, wonach das gemeinschaftliche Eigentum durch und auf Kosten der Gemeinschaft verwaltet wird.
Da die Fluchttreppe im Freien das gemeinschaftliche Eigentum betreffe, sei die Gemeinschaft zuständig und kostentragungspflichtig. Dagegen sei es Sache der jeweiligen Sondereigentümer, etwaige räumlich das Sondereigentum betreffende bauordnungsrechtliche Vorgaben auf eigene Kosten zu erfüllen, worum es im vorliegenden Fall aber nicht gehe.
Fazit für den Beirat
Angesichts der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BGH kann von einem professionellen Wohnungseigentumsverwalter erwartet werden, dass er die Grundzüge der erstmaligen plangerechten Herstellung und der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Anforderungen kennt. Zudem muss er den Unterschied kennen, dass er bzw. die Gemeinschaft freilich nur für das gemeinschaftliche Eigentum zuständig ist, wohingegen die erstmalige plangerechte Herstellung von Sondereigentum sowie die Erfüllung darauf bezogener öffentlich-rechtlicher Vorgaben Sache des Sondereigentümers ist. Natürlich müssen abweichende Regelungen in der Gemeinschaftsordnung in jedem Einzelfall geprüft werden. Ist sich ein Verwalter angesichts des Normengeflechts der Teilungserklärung/ Gemeinschaftsordnung der von ihm verwalteten Wohnanlage unsicher, sollte er die Eigentümer hierüber informieren und eine Beschlussfassung darüber herbeiführen, ob eine rechtliche Überprüfung durch einen Rechtsanwalt erwünscht ist.