Privilegierte Maßnahmen nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) aus Sicht der Hausverwaltung und GdWE

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Rechtlicher Hintergrund nach WEMoG und § 20 WEG
  3. Was sind privilegierte Maßnahmen?
  4. Anspruchsvoraussetzungen
  5. Rolle der Hausverwaltung und der GdWE
  6. Antragstellung: Anforderungen und Abläufe
  7. Beschlussfassung und Kostenverteilung
  8. Praxisbeispiele
  9. Typische Fehler bei privilegierten Maßnahmen
  10. FAQs für Eigentümer
  11. Fazit

1. Einleitung

Mit der WEG-Reform (WEMoG), die am 1. Dezember 2020 in Kraft trat, wurde der rechtliche Rahmen für bauliche Veränderungen und individuelle Modernisierungen durch Eigentümer deutlich erweitert. Ein zentrales Element dabei sind die sogenannten privilegierten Maßnahmen, die in § 20 WEG geregelt sind. Ziel des Gesetzgebers ist es, mehr Barrierefreiheit, Einbruchschutz, Mobilität und Digitalisierung in Wohnungseigentumsanlagen zu ermöglichen. Als Hausverwaltung und Vertreterin der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) sehen wir es als unsere Aufgabe, Eigentümer praxisnah zu informieren und für Transparenz im Antragsprozess zu sorgen.

2. Rechtlicher Hintergrund nach WEMoG und § 20 WEG

§ 20 WEG unterscheidet zwischen allgemeinen baulichen Veränderungen und solchen, die einzelnen Eigentümern gesetzlich zustehende Rechte begründen. Diese privilegierten Maßnahmen dürfen nur unter engen Voraussetzungen abgelehnt werden. Das bedeutet, dass ein Eigentümer einen grundsätzlichen Anspruch auf Zustimmung zu bestimmten baulichen Maßnahmen hat.

Gesetzestext-Auszug § 20 Abs. 2 WEG:

Jeder Wohnungseigentümer kann auf eigene Kosten angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge, dem barrierefreien Aus- und Umbau, dem Einbruchschutz oder dem Anschluss an ein Telekommunikationsnetz mit sehr hoher Kapazität dienen.

Erweiterung durch Steckersolargeräte: Im Jahr 2023 wurde die Liste privilegierter Maßnahmen durch eine weitere Maßnahme ergänzt: die Installation von Steckersolargeräten (Balkonkraftwerken). Diese Ergänzung folgt dem politischen Ziel der Energiewende und wurde inzwischen gesetzlich anerkannt.

3. Was sind privilegierte Maßnahmen?

Unter privilegierten Maßnahmen versteht man bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum, auf deren Durchführung einzelne Eigentümer einen Anspruch haben, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Im Einzelnen sind das:

  • Barrierefreiheit: z. B. Treppenlift, Türverbreiterung, bodengleiche Dusche
  • Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge: Wallbox in Tiefgarage oder auf Stellplatz
  • Einbruchschutz: Sicherheitstür, Fenstergitter, einbruchhemmende Rollläden
  • Schnelles Internet: Glasfaseranschluss oder Hochleistungsnetz
  • Steckersolargeräte: Balkonkraftwerke zur eigenen Stromversorgung

4. Anspruchsvoraussetzungen

Damit ein Antrag auf eine privilegierte Maßnahme Erfolg hat, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

  1. Zweckbindung: Die Maßnahme muss einem der in § 20 Abs. 2 genannten Zwecke dienen.
  2. Angemessenheit: Die Maßnahme darf nicht überdimensioniert oder für das Gemeinschaftseigentum unverhältnismäßig belastend sein.
  3. Keine unzumutbare Beeinträchtigung: Die Maßnahme darf die anderen Eigentümer weder optisch noch funktional unzumutbar beeinträchtigen.

5. Rolle der Hausverwaltung und der GdWE

Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass die Verwaltung die Aufgabe habe, den Antrag auf eine privilegierte Maßnahme inhaltlich auszuarbeiten. Tatsächlich ist es Sache des antragstellenden Eigentümer, alle erforderlichen Unterlagen vollständig und nachvollziehbar beizubringen.

Die Verwaltung prüft den Antrag auf formale Vollständigkeit, ist aber nicht verpflichtet, technische Details oder Kosten für den Antragsteller zu ermitteln. Erst wenn der Antrag die Mindestanforderungen erfüllt, kann er auf die Tagesordnung der nächsten Eigentümerversammlung gesetzt werden.

6. Antragstellung: Anforderungen und Abläufe

Ein wirksamer Antrag sollte folgende Bestandteile enthalten:

  • Schriftlicher Antrag mit Beschreibung der geplanten Maßnahme
  • Nachweis der Zweckgebundenheit (z. B. Attest bei Mobilitätseinschränkung)
  • Technische Zeichnungen, Skizzen oder Pläne
  • Fachunternehmerangebot zur Kostenschätzung
  • Lageplan und Beschreibung der betroffenen Bereiche

Frühstücksregel: Je früher der Antrag vor der Eigentümerversammlung vorliegt, desto eher kann er aufgenommen werden. Kurzfristige Anträge werden aus Gründen der ordnungsgemäßen Ladung oft vertagt.

7. Beschlussfassung und Kostenverteilung

Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied:

  • Einfachmehrheit: Nur die zustimmenden Eigentümer tragen die Kosten.
  • Qualifizierte Mehrheit (2/3 der Stimmen und mehr als 50 % der MEA): Alle Eigentümer sind zur Kostenbeteiligung verpflichtet.

Beispielrechnung: Ein Eigentümer beantragt eine Wallbox auf dem eigenen Stellplatz. In der Versammlung stimmen 3 von 10 Eigentümern mit 55 % der MEA dafür. Die Maßnahme ist beschlossen – aber die Kosten tragen nur die drei Ja-Stimmer. Stimmen jedoch 7 Eigentümer mit zusammen 68 % der MEA zu, dann müssen alle anteilig zahlen.

Hinweis zur qualifizierten Mehrheit: Die 2/3-Mehrheit bezieht sich auf die gültig abgegebenen Stimmen der anwesenden oder vertretenen Eigentümer, nicht auf die Gesamtzahl aller Miteigentümer. Zusätzlich muss diese Mehrheit mehr als 50 % der Miteigentumsanteile repräsentieren. Diese doppelte Voraussetzung sorgt dafür, dass bei umfassender Kostenbeteiligung ein besonders breiter Konsens innerhalb der Gemeinschaft besteht.

Hintergrund: Die qualifizierte Mehrheit gemäß § 21 Abs. 2 WEG schafft eine Grundlage für gemeinschaftliche Finanzierung.

8. Praxisbeispiele

  • Fall 1: Steckersolargerät (Balkonkraftwerk) Antrag auf Anbringung eines Balkonkraftwerks am Geländer. Der Antragsteller legt ein technisches Datenblatt, ein Foto mit optischer Darstellung und ein Montagekonzept vor. Die Maßnahme wird mit einfacher Mehrheit beschlossen. Nur der Antragsteller trägt die Kosten.
  • Fall 2: Einbruchhemmende Wohnungstür Eine Eigentümerin möchte die Wohnungstür austauschen. Da die neue Tür sich farblich an das Gesamtbild anpasst und normgerecht eingebaut wird, liegt keine unzumutbare Beeinträchtigung vor. Die Eigentümergemeinschaft kann den Antrag nicht ablehnen.

9. Typische Fehler bei privilegierten Maßnahmen

  • Antrag ohne technische Details
  • Keine Erläuterung zur Zweckbindung
  • Verwechslung mit ordnungsgemäßer Instandhaltung
  • Missverständnisse bei Kostenbeteiligung

Hinweis: Ein gut vorbereiteter Antrag erspart der Gemeinschaft Diskussionen und Ablehnungen.

10. FAQs für Eigentümer

Muss die Hausverwaltung mir bei der Planung helfen?
Nein, sie ist nicht verpflichtet, Planungsleistungen zu erbringen.

Kann ich einfach loslegen, wenn ich einen Anspruch habe?
Nein, auch privilegierte Maßnahmen bedürfen eines Beschlusses.

Was, wenn mein Antrag abgelehnt wird?
Wenn die Voraussetzungen nach § 20 WEG vorliegen, kann eine gerichtliche Zustimmungsklage möglich sein.

Gibt es eine Frist für die Antragstellung?
Nein, aber frühzeitige Anträge ermöglichen eine Behandlung in der nächsten Versammlung.

11. Fazit

Privilegierte Maßnahmen nach § 20 WEG sind ein wichtiger Schritt in Richtung Modernisierung, Sicherheit und Nachhaltigkeit innerhalb von Wohnungseigentumsanlagen. Die gesetzlichen Neuerungen bieten Chancen, stellen aber auch Anforderungen an Antragsteller und Gemeinschaft. Als Hausverwaltung und GdWE stehen wir für Transparenz und Verfahren nach geltendem Recht. Eigentümer, die sich frühzeitig informieren und gut vorbereiten, können ihre berechtigten Interessen wirksam durchsetzen.

 

Verfasst von Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH

Stand: Mai 2025