In einer ehemaligen Scheune (Teileigentum) darf man nicht wohnen, man kann es dem Teileigentümer aber nicht verbieten.

„Im Wohnungseigentum darf man wohnen, sonst nichts. Im Teileigentum darf man alles, nur nicht wohnen!“- so lautet die landläufige Abgrenzung der beiden Grundtypen von Sondereigentum. Dabei ist eine Wohnnutzung – ebenfalls nach landläufiger Meinung – die „intensivste und konfliktträchtigste“ Nutzungsweise von Sondereigentum. Mit derartigen Binsenweisheiten räumt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem aktuellen Urteil auf. Und damit nicht genug: Nutzungsbeschränkungen in der Gemeinschaftsordnung müssten klar und eindeutig vereinbart werden, sonst gelten sie nicht. Überdies sei stets auf die so genannte typisierende Betrachtungsweise zu achten. Beides wurde einer Wohnungseigentümergemeinschaft im Amtsgerichtsbezirk Heilbronn zum Verhängnis.

Mit Urteil vom 16. Juli 2021 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 284/19 entschied der BGH über einen Sachverhalt, in dem eine ehemalige Scheune, die im Zeitpunkt der Teilung als Lagerraum genutzt worden war (Teileigentum), abgerissen und durch ein Einfamilienwohnhaus ersetzt worden war. Der Teileigentümer hatte beim Grundbuchamt unter Berufung auf eine in der Gemeinschaftsordnung (angeblich) vereinbarte Öffnungsklausel sogar erreichen können, dass das Teileigentums- in ein Wohnungseigentumsgrundbuchblatt umgeändert wurde. Seine Gemeinschaft brachte dies auf die Zinne und es kam zu einem wohnungseigentumsrechtlichen Streit durch drei Instanzen.

 

Der Fall
Der Beklagte ist Mitglied der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft. Diese besteht aus 2 Gebäuden mit insgesamt 9 Einheiten. Das Haus mit der Haus-Nr. 36 ist in 8 Wohnungen unterteilt. Bei dem Gebäude mit der Hausnummer 36a handelte es sich im Zeitpunkt der Teilungserklärung im Jahr 1973 um eine fensterlose Scheune (Teileigentum). Dieses Teileigentum gehört dem Beklagten. In der Teilungserklärung nebst Gemeinschaftsordnung (TE/GO) sind u. a. folgende Regelungen enthalten:
㤠2.
Wir erklären hiermit gegenüber dem Grundbuchamt, dass bezüglich des in § 1 näher bezeichneten Grundstücks verbunden werden (…)
1. (…)
9. ein Miteigentumsanteil von 200/1200 mit dem Sondereigentum (Teileigentum) an Geb. 36 a H-Straße (Lagerraum), im Aufteilungsplan mit Ziffer 12 bezeichnet.
(…)
§ 4.
(…)
XVIII. Teileigentum.
(…) Der jeweilige Eigentümer des in § 2 unter Ziffer 9 bezeichneten Teileigentumsrechts (Aufteilungsplan Nr. 12) hat kein Recht zum Mitgebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums in Geb. 36 H.-Straße. Die jeweiligen Inhaber der in § 1 unter Ziffer 1 bis 8 bezeichneten Wohnungseigentumsrechte haben kein Recht zur Nutzung der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Teile von Geb. 36 a H-Straße.
Die Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums obliegt:

a) hinsichtlich Geb. 36 H-Straße: den jeweiligen Inhabern der in § 2 Ziffer 1 bis 8 bezeichneten Wohnungseigentumsrechte,

b) hinsichtlich Geb. 36 a H-Straße: dem jeweiligen Inhaber des in § 2 Ziffer 9 bezeichneten Teileigentumsrechts.

Auch alle sonstigen Verwaltungskosten sind, soweit sie unterscheidbar sind, auf die Wohnungseigentumsrechte einerseits und das Teileigentum andererseits aufzuteilen und entsprechend zu tragen.
XIX. Der jeweilige Inhaber des in § 2 Nr. 9 bezeichneten Teileigentumsrechts ist berechtigt, beliebige bauliche Veränderungen an Geb. 36 a H-Straße vornehmen zu lassen, auch soweit hierdurch gemeinschaftliches Eigentum betroffen bzw. verändert wird. Das Erfordernis der jeweiligen baurechtlichen Zulässigkeit der Baumaßnahmen bleibt unberührt. (…).“
Im Jahr 2013 ließ der Beklagte die Scheune abreißen und begann an derselben Stelle mit dem Bau eines Einfamilienwohnhauses. Ein im Jahr 2014 von der Klägerin (Gemeinschaft) eingeleitetes Einstweiliges Verfügungsverfahren (Baustopp) wurde von den Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt. Durch notarielle Urkunde vom 31. Mai 2017 erklärte der Beklagte – gestützt auf die Vereinbarung in § 4 Ziffer XIX der TE/GO – eine Nutzungsänderung von Teileigentum in Wohnungseigentum und bewilligte und beantragte, die Änderung in das Grundbuch einzutragen.

Am 12. Juli 2017 änderte das Grundbuchamt die Buchungsart des Sondereigentums des Beklagten von Teil- in Wohnungseigentum und trog Folgendes ein:
„200/1.200 Miteigentumsanteil an dem Grundstück … verbunden mit dem Sondereigentum an der im Aufteilungsplan mit Nr. 12 bezeichneten Wohneinheit (sämtliche Räume im Wohnhaus H.-straße 36/1 nebst Garage). (…).“
Gegen die Grundbuchumschreibung ist in einem anderen Verfahren eine Beschwerde anhängig, wahrscheinlich gestützt auf eine Unrichtigkeit des Grundbuchs. Mit der Unterlassungsklage, um die es in unserem Fall geht, verlangt die Gemeinschaft, es dem Beklagten zu untersagen, das von ihm errichte Einfamilienhaus als Wohnraum zu nutzen. Amtsgericht und Landgericht hatten der Klage stattgegeben. Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde setzte sich der Beklagte in dritter Instanz durch.

 

Die Entscheidung
Entgegen der Auffassung der beiden Vorinstanzen handele es sich bei dem Klammerzusatz „Lagerraum“ in § 2 Nr. 9 TE/GO nicht um eine Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter. Dazu wäre eine klare und eindeutige Vereinbarung erforderlich gewesen, die unmissverständlich zum Ausdruck hätte bringen müssen, dass in dem Teileigentum ausschließlich Lagerzwecke gestattet seien. Für den unbefangenen Leser sei – so der BGH – klar, dass die Angabe „Lagerraum“ lediglich die zur Zeit der Aufteilung ausgeübte Nutzung beschreibe. Dies ergebe sich aus der Vereinbarung in § 4 Ziffer XIX TE/GO, wonach der Teileigentümer berechtigt war, jede beliebige bauliche Veränderung an seinem Gebäude vorzunehmen. Dies mache laut BGH bei objektiver Betrachtung nur Sinn, wenn jede Nutzung, die keine Wohnnutzung sei, zulässigerweise ausgeübt werden könne, d.h. jede Art der Nutzung, die nicht Wohnzwecken diene, und nicht nur eine Nutzung als Lagerraum, seien es (wie in der Scheune) landwirtschaftliche Geräte oder Erzeugnisse, seien es sonstige Sachen. Da es sich somit nicht um eine Zweckbestimmung (Nutzungsbeschränkung) mit Vereinbarungscharakter handele, sei in er Einheit des Beklagten jede Nutzung möglich und erlaubt, die im Teileigentum zulässigerweise ausgeübt werden dürfe, insbesondere also auch jede erdenkliche Art einer gewerblichen Nutzung.
Daraus folge, dass im Teileigentum des Beklagten keine Wohnnutzung stattfinden dürfe. Aus der tatsächlich vorgenommenen Änderung der Grundbuchbezeichnung könne der Beklagte insoweit nichts Günstiges für sich herleiten. Eine rechtswirksame Änderung der Zweckbestimmung Teileigentum in Wohnungseigentum setze eine Vereinbarung sämtlicher Eigentümer voraus, an der es hier fehle. Ein einseitiges Änderungsrecht bestünde nur dann, wenn die Gemeinschaftsordnung eine Öffnungsklausel (der BGH spricht vom Änderungsvorbehalt) enthalte. Daran fehle es, da § 4 Ziffer XIX TE/GO nur „jede beliebige bauliche Veränderung“ des Teileigentums gestatte, nicht aber jede beliebige Nutzung.
Gleichwohl stehe der Gemeinschaft trotz der zweckbestimmungswidrigen Nutzung des Teileigentums als Wohnhaus im Ergebnis kein Unterlassungsanspruch zu. Denn nach der an dieser Stelle juristisch maßgeblichen sog. typisierenden Betrachtungsweise könne jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation nicht davon ausgegangen werden, dass die Nutzung der alten Scheune (Teileigentum) im Vergleich zu einer gewerblichen Nutzung als störender anzusehen sei. Zwar habe der BGH im Ärztehausfall die Nutzung einer Teileigentumseinheit zu Wohnzwecken als störender bezeichnet; dies habe dort aber daran gelegen, dass der reinen Teileigentumsanlage der professionelle Charakter verlorenginge, wenn in einer gewerblichen Einheit gewohnt werde. Im vorliegenden Fall aus Heilbronn hingegen sei eine gemischte Immobilie streitgegenständlich. Daher sei das Ärztehaus nicht vergleichbar. Vielmehr verhalte es sich bei typisierender Betrachtungsweise so, dass eine Nutzung von Teileigentum zu anderen als Wohnzwecken genauso störend oder sogar störender sein können als Wohnen. Der BGH nennt in diesem Zusammenhang die Nutzung als Gaststätte, Beherbergungsbetrieb, Call-Center, SB-Waschsalon; Sportstudio oder sog. Co-Working Spaces (Rn 31 der Urteilsgründe).
Anders könne es ausnahmsweise sein, wenn der Gemeinschaft im Vergleich zu einer Nutzung als Teileigentum höhere Kosten entstünden oder die Gefahr einer erheblich intensiveren Nutzung von Gemeinschaftsflächen bestünde. Dies sei vorliegend aber nicht der Fall, zumal in der TE/GO eine Kostentrennung zwischen beiden Gebäuden vereinbart sei.

 

Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Bei der Auslegung von Gemeinschaftsordnungen sowie der typisierenden Betrachtungsweise erleben Juristen und Laien die tollsten Überraschungen. Eine zweckbestimmungswidrige Nutzung von Sondereigentum ist an sich verboten, kann aber dennoch nicht wirksam unterbunden werden, wenn die zweckbestimmungswidrige Nutzung bei typisierender Betrachtungsweise nicht mehr stört als die zweckbestimmungsgemäße Nutzung. Die verbreitete These, Wohnen sei die intensivste und konfliktträchtigste Erscheinungsform aller denkbaren Nutzungsarten von Sondereigentum, wird vom BGH verworfen. Die von ihm genannten Beispiele überzeugen indessen nicht vollkommen. Mit Ausnahme des Beherbergungsbetriebes tobt in den vom BGH genannten Beispielen nicht „24/7“ (24 Stunden rund um die Uhr, 7 Tage die Woche) das pure Leben. Insbesondere gibt es dort keine Rund-um-die-Uhr-Nutzung einschließlich Schlafen/Übernachten. Und selbst im Beherbergungsgewerbe, egal ob kleine Pension oder großes Hotel, dürfte es bei typisierender Betrachtung gesitteter zugehen.

 

Fazit für die Gemeinschaft
Da einschlägige Rechtsprechung inzwischen zahlreich und verästelt ist, bietet es sich in kniffligen Fällen vor einem Gang zu Gericht an, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Nicht nur die typisierende Betrachtungsweise stellt eine juristische Herausforderung dar, auch die Auslegung der Gemeinschaftsordnung in Bezug auf Nutzungsbeschränkungen ist mitunter schwierig. Rechtlich anspruchsvoll kann es zudem sein, eine in der TE/GO vereinbarte Öffnungsklausel ausfindig zu machen oder korrekt anzuwenden. Diese muss nicht unbedingt in einer separaten und eigens so betitelten Bestimmung der GO enthalten sein. Auch „versteckte Öffnungsklauseln“ kommen vor.
In gemischt genutzten Immobilien könnte es künftig schwieriger werden, eine zweckbestimmungswidrige Nutzung erfolgreich zu unterbinden. Der vorliegende Sachverhalt betraf eine Gemeinschaft mit zwei Gebäuden und vereinbarter Kostentrennung. Noch nicht entschieden wurde zur Rechtslage in einem Baukörper, in dem beispielsweise nur das Erdgeschoss Teileigentum ist und z. B. bisher als Laden genutzt wird.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg, 
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