Wenn zwei Welten aufeinandertreffen: Die Problematik der Harmonisierung von Mietrecht und Wohnungseigentumsrecht am Beispiel privilegierter Maßnahmen

Einleitung

Im deutschen Immobilienrecht existieren zwei große Rechtskreise, die oft nebeneinander, aber nicht immer miteinander funktionieren: das Mietrecht und das Wohnungseigentumsrecht. In der Praxis zeigt sich regelmäßig, dass Regelungen aus dem einen Bereich im anderen nicht problemlos anwendbar sind – und umgekehrt. Besonders deutlich wird dies beim Thema privilegierte Maßnahmen gemäß § 20 WEG. Während ein Wohnungseigentümer mit einem rechtlich abgesicherten Anspruch bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum verlangen kann, fehlt eine vergleichbare Rechtsstellung für den Mieter. Das wirft nicht nur rechtliche, sondern auch praktische Fragen auf – insbesondere, wenn die Interessen von Vermietern, Mietern und Eigentümergemeinschaften kollidieren.

1. Die Ausgangslage: Zwei Rechtskreise, zwei Logiken

Das Mietrecht schützt in erster Linie den Mieter als Verbraucher und regelt dessen Rechte gegenüber dem Vermieter (§§ 535 ff. BGB). Das Wohnungseigentumsrecht (WEG) hingegen regelt die Beziehung der Eigentümer untereinander sowie zur Gemeinschaft (§§ 1 ff. WEG). Beide Regelwerke bedienen unterschiedliche Zielgruppen und Interessenlagen:

  • Mietrecht: Schutz des Mieters, Vertragsbindung, Gebrauch der Mietsache

  • Wohnungseigentumsrecht: Mitbestimmung, Substanzerhalt, Gemeinschaftsinteresse

Problematisch wird es, wenn der Vermieter als Eigentümer dem Mieter bestimmte Rechte zusichern möchte (z. B. das Anbringen einer Wallbox), aber hierfür die Zustimmung der Eigentümergemeinschaft braucht. Der Mieter kann keine WEG-Beschlüsse beantragen – der Eigentümer muss (oft widerwillig) als Stellvertreter tätig werden.

2. Privilegierte Maßnahmen nach § 20 Abs. 2 WEG – ein Fortschritt mit Haken

Seit der WEG-Reform 2020 besteht ein Anspruch von Wohnungseigentümern auf bauliche Veränderungen, wenn diese bestimmten Zwecken dienen:

  • Elektromobilität (Ladestation)

  • Barrierefreiheit

  • Einbruchschutz

  • Zugang zu schnellem Internet

  • neu: Steckersolargeräte (Balkonkraftwerke)

Diese Maßnahmen sind „privilegiert“, weil sie nicht mehr der Zustimmung aller Eigentümer bedürfen, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen abgelehnt werden können.

Für Mieter gibt es eine parallele Vorschrift: § 554 BGB. Danach kann ein Mieter vom Vermieter die Zustimmung zu bestimmten baulichen Veränderungen verlangen – jedoch mit deutlich schwächerer Durchsetzungskraft und fast immer unter Rückbauverpflichtung.

3. Praxisproblem: Der Mieter möchte, der Vermieter müsste, die Gemeinschaft aber darf nicht wollen

Ein häufiges Szenario aus der Verwaltungspraxis:

Ein Mieter möchte eine Wallbox an seinem Tiefgaragenstellplatz anbringen lassen. Der Vermieter ist prinzipiell einverstanden – aber da der Stellplatz zum Gemeinschaftseigentum gehört, muss die Wohnungseigentümergemeinschaft zustimmen. Nun beginnt die Komplexität:

  • Der Mieter hat keinen Antrag gestellt – das kann er nicht.

  • Der Vermieter muss die privilegierte Maßnahme beantragen – obwohl er selbst sie nicht braucht.

  • Die Gemeinschaft muss der Maßnahme zustimmen – kann aber die Zustimmung aus baulichen, technischen oder optischen Gründen verweigern.

Fazit: Der gesetzlich garantierte Anspruch des Mieters verpufft, wenn der Vermieter nicht mitzieht oder die Gemeinschaft blockiert.

4. Rückbaupflichten und Nachnutzung – weitere Konfliktfelder

Während im Wohnungseigentumsrecht privilegierte Maßnahmen grundsätzlich dauerhaft angelegt sind, gelten im Mietrecht andere Maßstäbe. Selbst wenn ein Vermieter dem Mieter den Einbau einer Maßnahme gestattet, bleibt meist die Pflicht zum Rückbau am Ende des Mietverhältnisses bestehen. Dies führt zu absurden Situationen:

  • Eine fest installierte Wallbox muss auf Kosten des Mieters entfernt werden, obwohl sie dem Objektwert dient.

  • Eine barrierefreie Rampe wird rückgebaut, obwohl sie vom Nachmieter genutzt werden könnte.

Hier zeigt sich, dass die Privilegierung im WEG keine automatische Wirkung auf das Mietverhältnis entfaltet.

5. Wer zahlt was – ein weiterer Streitpunkt

Nach § 21 Abs. 2 WEG kann eine privilegierte Maßnahme mit qualifizierter Mehrheit (2/3 der Stimmen und >50 % MEA) beschlossen werden, sodass alle Eigentümer anteilig die Kosten tragen müssen. Dies kann auch Eigentümer betreffen, die vermieten.

Beispiel:

Eine Gemeinschaft beschließt mehrheitlich (nach § 20 Abs. 2 und § 21 Abs. 2 WEG) die flächendeckende Nachrüstung aller Stellplätze mit Lademöglichkeiten. Auch Eigentümer, deren Mieter kein E-Auto nutzen, müssen zahlen. Ob und wie diese Kosten über eine Mieterhöhung oder Modernisierungsumlage weitergegeben werden können, ist rechtlich nicht abschließend geklärt.

6. Reformbedarf und aktuelle Diskussion

Immer mehr Stimmen aus der Praxis fordern eine bessere Verzahnung von Mietrecht und Wohnungseigentumsrecht. Mögliche Lösungsansätze:

  • Ein Antragsrecht des Mieters gegenüber der WEG bei privilegierten Maßnahmen

  • Harmonisierung der Rückbaupflichten mit dem Eigentumsrecht

  • Einführung eines gesetzlichen Kostenerstattungsanspruchs des Mieters gegen den Vermieter bei blockierter Maßnahme

Bisher scheut der Gesetzgeber eine echte Angleichung – wohl aus Sorge vor Komplexitätssteigerung und Überforderung kleinerer Gemeinschaften.

7. Handlungsempfehlungen für die Praxis

Für Hausverwaltungen und GdWE:

  • Mieteranliegen ernst nehmen, aber rechtlich korrekt kanalisieren

  • Eigentümer sensibilisieren, dass sie „verlängerter Arm“ des Mieters sind

  • Einheitliche Antragsunterlagen einfordern, auch wenn Mieter beteiligt sind

  • Frühzeitig über Beschlussmehrheiten und Zustimmungsnotwendigkeit aufklären

Für Vermieter:

  • Mietverträge möglichst flexibel gestalten („bauliche Veränderungen möglich…“)\n- Bei privilegierten Maßnahmen rechtzeitig mit der WEG abstimmen

  • Rückbaupflichten schriftlich klären, aber auch ggf. erlassen

Für Mieter:

  • Anträge gut begründen (z. B. Umweltziele, beruflicher Bedarf)

  • Rücksprache mit dem Vermieter halten und kooperativ auftreten

  • Bei Ablehnung rechtliche Beratung in Anspruch nehmen

8. Fazit

Die sogenannte Harmonisierung von Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist bislang mehr Wunsch als Realität. Die Einführung privilegierter Maßnahmen war ein großer Schritt für Wohnungseigentümer – aber Mieter profitieren davon nur indirekt. In einer zunehmend gemischt genutzten Immobilienlandschaft führt das zu praktischen Spannungen, die weder durch Gerichte noch durch Verwaltungspraxis vollständig aufgelöst werden können.

Was bleibt: Nur durch Kommunikation und klare rechtliche Rahmenbedingungen lässt sich das Spannungsfeld entschärfen. Verwaltung, Vermieter und Mieter müssen gemeinsam Verantwortung übernehmen – auch wenn das geltende Recht ihnen dafür nicht immer die besten Werkzeuge an die Hand gibt.

 

Verfasst von Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH

Stand: Mai 2025